Es gibt ein Gespenst, das frisst Taschentücher, es begleitet dich auf deinen Reisen, es frisst dir aus dem Koffer, aus dem Bett, aus dem Nachttisch, wie ein Vogel aus der Hand. Mit 18 Tüchern, stolzer Segler, fährst du hinaus aufs Meer der Fremde, mit acht bis sieben kehrst du zurück, ein Gram der Hausfrau. Wehe, wehe, nie sah ein Auge den scheußlichen Alf, doch tausend Tücher schlingt er allnächtlich in seinen weltweit verteilten Bauch.
Neue Galgenlieder von Christian Morgenstern
Song Cycle by Paul Hermann Franz Graener (1872 - 1944)
1. Gespenst  [sung text not yet checked]
Text Authorship:
- by Christian Morgenstern (1871 - 1914), no title
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]2. Der Seufzer  [sung text not yet checked]
Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis und träumte von Liebe und Freude. Es war an dem Stadtwall und Schneeweiß glänzten die Stadtwallgebäude Der Seufzer dacht' an ein Maidelein und blieb erglühend stehen. Da schmolz die Eisbahn unter ihm -- und er sank -- und ward nimmer gesehen!
Text Authorship:
- by Christian Morgenstern (1871 - 1914), "Der Seufzer", appears in Galgenlieder
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- ENG English (Gary Bachlund) , "The sigh", copyright © 2008, (re)printed on this website with kind permission
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Le soupir", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
3. Das Huhn  [sung text not yet checked]
In der Bahnhofshalle, nicht für es gebaut, geht ein Huhn hin und her. Wo, wo ist der [Stationsvorsteh'r]1? Wird dem Huhn man nichts tun? Hoffen wir es! Sagen wir es laut, dass ihm uns're Sympathie gehört, selbst an [dieser Stätte]2, wo es - »stört«!
Text Authorship:
- by Christian Morgenstern (1871 - 1914), "Das Huhn", appears in Galgenlieder
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "La poule", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
1 Schreiber: "Herr Stationsvorsteh'r"
2 Schreiber: "diesem Orte"
Research team for this page: Emily Ezust [Administrator] , Johann Winkler
4. Der Mond  [sung text not yet checked]
Als Gott den lieben Mond erschuf, gab er ihm folgenden Beruf: Beim Zu- sowohl wie beim Abnehmen sich deutschen Lesern zu bequemen, ein A formierend und ein Z - dass keiner groß zu denken hätt'. Befolgend dies ward der Trabant ein völlig deutscher Gegenstand.
Text Authorship:
- by Christian Morgenstern (1871 - 1914), "Der Mond", appears in Galgenlieder
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Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "La lune", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission
Note: in stanza 3, line 1, the letters A and Z appear in printed editions as the old Sütterlin letters. Some online editions erroneously use Greek letters. See Wikipedia's entry on Sütterlin.
Research team for this page: Emily Ezust [Administrator] , Peter Rastl [Guest Editor]
5. Der Zwölf‑Elf  [sung text not yet checked]
Der Zwölf-Elf hebt die linke Hand: Da schlägt es Mitternacht im Land. Es lauscht der Teich mit offnem Mund. Ganz leise heult der Schluchtenhund. Die Dommel reckt sich auf im Rohr. Der Moosfrosch lugt aus seinem Moor. Der Schneck horcht auf in seinem Haus. Desgleichen die Kartoffelmaus. Das Irrlicht selbst macht Halt und Rast auf einem windgebrochnen Ast. Sophie, die Maid, hat ein Gesicht: Das Mondschaf geht zum Hochgericht. Die Galgenbrüder wehn im Wind. Im fernen Dorfe schreit ein Kind. Zwei Maulwurf küssen sich zur Stund als Neuvermählte auf den Mund. Hingegen tief im finstern Wald ein Nachtmahr seine Fäuste ballt: Dieweil ein später Wanderstrumpf sich nicht verlief in Teich und Sumpf. Der Rabe Ralf ruft schaurig: "Kra! Das End ist da! Das End ist da!" Der Zwölf-Elf senkt die linke Hand: Und wieder schläft das ganze Land.
Text Authorship:
- by Christian Morgenstern (1871 - 1914), "Der Zwölf-Elf", appears in Galgenlieder
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]6. Philantropisch  [sung text not yet checked]
Ein nervöser Mensch auf einer Wiese wäre besser ohne sie daran; darum seh' er, wie er ohne diese (meistens mindstens) leben kann. Kaum dass er gelegt sich auf die Gräser, naht der Ameis, Heuschreck, Mück und Wurm, naht der Tausendfuß und Ohrenbläser, und die Hummel ruft zum Sturm. Ein nervöser Mensch auf einer Wiese tut drum besser, wieder aufzustehn und dafür in andre Paradiese (beispielshalber: weg) zu gehn.
Text Authorship:
- by Christian Morgenstern (1871 - 1914), "Philantropisch"
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Researcher for this text: Emily Ezust [Administrator]7. Palmström  [sung text not yet checked]
Palmström steht an einem Teiche und entfaltet groß ein rotes Taschentuch: Auf dem Tuch ist eine Eiche dargestellt sowie ein Mensch mit einem Buch. Palmström wagt nicht, sich hineinzuschneuzen. - Er gehört zu jenen Käuzen, die oft unvermittelt-nackt Ehrfurcht vor dem Schönen packt. Zärtlich faltet er zusammen, was er eben erst entbreitet. Und kein Fühlender wird ihn verdammen, weil er ungeschneuzt entschreitet.
Text Authorship:
- by Christian Morgenstern (1871 - 1914), appears in Palmström
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- FRE French (Français) (Pierre Mathé) , "Palmström", copyright © 2011, (re)printed on this website with kind permission