by Johann Baptist Mayrhofer (1787 - 1836)
Einsamkeit
Language: German (Deutsch)
»Gib mir die Fülle der Einsamkeit!« Im Tal, von Blüten überschneit, Da ragt ein Dom, und nebenbei In hohem Stile die Abtei: Wie ihr Begründer, fromm und still, Der Müden Hafen und Asyl. Hier kühlt mit heiliger Betauung Die nie versiegende Beschauung. Doch den frischen Jüngling quälen Selbst in gottgeweihten Zellen Bilder, feuriger verjüngt; Und ein wilder Strom entspringt Aus der Brust, die er umdämmt, Und in einem Augenblick Ist der Ruhe zartes Glück Von den Wellen weggeschwemmt. »Gib mir die Fülle der Tätigkeit!« Menschen wimmeln weit und breit, Wagen kreuzen sich und stäuben, Käufer sich um Läden treiben, Rotes Gold und heller Stein Lockt die Zögernden hinein, Und Ersatz für Landesgrüne Bieten Maskenball und Bühne. Doch in prangenden Palästen, Bei der Freude lauten Festen, Sprießt empor der Schwermut Blume, Senkt ihr Haupt zum Heiligtume Seiner Jugend Unschuldslust, Zu dem blauen Hirtenland Und der lichten Quelle Rand. Ach, daß er hinweggemußt! »Gib mir das Glück der Geselligkeit!« Genossen, freundlich angereiht Der Tafel, stimmen Chorus an Und ebenen die Felsenbahn. So geht's zum schönen Hügelkranz Und abwärts zu des Stromes Tanz, Und immer mehr befestiget sich Neigung Mit treuer, kräftiger Verzweigung. Doch, wenn die Genossen schieden, Ist's getan um seinen Frieden. Ihn bewegt der Sehnsucht Schmerz, Und er schauet himmelwärts: Das Gestirn der Liebe strahlt. Liebe, Liebe ruft die laue Luft, Liebe, Liebe atmet Blumenduft, Und sein Innres Liebe hallt. »Gib mir die Fülle der Seligkeit!« Nun wandelt er in Trunkenheit An ihrer Hand in schweigenden Gesprächen, Im Buchengang an weißen Bächen, Und muß er auch durch Wüsteneien, Ihm leuchtet süßer Augen Schein; Und in der feindlichsten Verwirrung Vertrauet er der Holden Führung. Doch die Särge großer Ahnen, Siegerkronen, Sturmesfahnen Lassen ihn nicht fürder ruhn, Und er muß ein Gleiches tun, Und wie sie unsterblich sein. Sieh, er steigt aufs hohe Pferd, Schwingt und prüft das blanke Schwert, Reitet in die Schlacht hinein. »Gib mir die Fülle der Düsterheit!« Da liegen sie im Blute hingestreut, Die Lippe starr, das Auge wild gebrochen, Die erst dem Schrecken Trotz gesprochen. Kein Vater kehrt den Seinen mehr, Und heimwärts kehrt ein ander Heer, Und denen Krieg das Teuerste genommen, Begrüßen nun mit schmerzlichem Willkommen. So deucht ihm des Vaterlandes Wächter Ein ergrimmter Bruderschlächter, Der der Freiheit edel Gut Düngt mit rotem Menschenblut; Und er flucht dem tollen Ruhm Und tauschet lärmendes Gewühl Mit dem Forste grün und kühl, Mit dem Siedlerleben um. »Gib mir die Weihe der Einsamkeit!« Durch dichte Tannendunkelheit Dringt Sonnenblick nur halb und halb, Und färbet Nadelschichten falb. Der Kuckuck ruft aus Zweiggeflecht, An grauer Rinde pickt der Specht, Und donnernd über Klippenhemmung Ergeht des Gießbachs kühne Strömung. Was er wünschte, was er liebte, Ihn erfreute, ihn betrübte, Schwebt mit sanfter Schwärmerei Wie im Abendrot vorbei. Jünglings Sehnsucht, Einsamkeit, Wird dem Greisen nun zu Teil, Und ein Leben rauh und steil Führte doch zur Seligkeit.
Note: Schubert received Mayrhofer's texts generally in handwriting; the printed edition of Mayrhofer's poems appeared much later and presents the texts usually in a revised version. This poem was printed in 1824 with many modifications; see below.
Text Authorship:
- by Johann Baptist Mayrhofer (1787 - 1836), "Einsamkeit" [author's text not yet checked against a primary source]
Musical settings (art songs, Lieder, mélodies, (etc.), choral pieces, and other vocal works set to this text), listed by composer (not necessarily exhaustive):
- by Franz Peter Schubert (1797 - 1828), "Einsamkeit", D 620 (1818), published 1840 [ voice, piano ], A. Diabelli & Co., VN 6989, Wien [sung text checked 1 time]
Another version of this text exists in the database.
Available translations, adaptations or excerpts, and transliterations (if applicable):
- CAT Catalan (Català) (Salvador Pila) , "Solitud", copyright © 2017, (re)printed on this website with kind permission
- DUT Dutch (Nederlands) [singable] (Lau Kanen) , "Eenzaamheid", copyright © 2008, (re)printed on this website with kind permission
- ENG English (Emily Ezust) , "Solitude", copyright ©
- FRE French (Français) (Guy Laffaille) , "Solitude", copyright © 2016, (re)printed on this website with kind permission
Research team for this page: Emily Ezust [Administrator] , Peter Rastl [Guest Editor]
This text was added to the website between May 1995 and September 2003.
Line count: 96
Word count: 474